09/10/2022

Bericht

Bruttolokalglück: kulturinos Währung der Anständigen

Von: Alexander Ombeck

Alexander Ombeck hat mit seiner Initiative „kulturino“ einen Ort für junge Menschen mitten im Thüringer Wald geschaffen. Einen Platz, der Abwanderung und Überalterung auf dem Land etwas entgegensetzt und der junge Menschen stärken soll. Im Austausch miteinander geht es um die Frage, wie sich Demokratie, Kultur und Gesellschaft gestalten lassen und warum es so wichtig ist, im Kleinen anzufangen.
kulturinos Rezept lautet einfach: „Bruttolokalglück“.

Was bedeutet es, wenn bei einer Bundestagswahl fast 30% für die AfD stimmen und damit 9% vor der zweitplatzierten CDU liegen, die (Oh Fremdscham!) im Nachbarwahlkreis ausgerechnet aus Hans Georg Maaßen Kapital zu schlagen suchte? Das bedeutet, dass ein Drittel und mehr der Menschen im Wahlkreis (vermutlich im ganzen Bundesland) frustriert sind, so frustriert, dass demokratischer Anstand auf der Strecke bleibt.

Was bedeutet es für Jugendliche, die in einem solchen Umfeld aufwachsen? Jugendliche, die ja eigentlich die Zukunft einer Gesellschaft repräsentieren? Jugendliche, die unbeschwert sein und ihre Visionen von Zukunft gegen meine Generation durchsetzen oder mich mitreißen sollten? Ganz normale, anständige Jugendliche, die weder hetzen noch verschwörerisch denken, denen Hassrede fremd ist, die den Herausforderungen von morgen positiv begegnen möchten? Solchen Jugendlichen fehlt zusehends eine kulturelle Heimat! Die Bevölkerung wird immer älter und immer unanständiger.

Was fällt denn der Politik vor Ort ein? Sie organisiert Berufsmessen, die ganz hip „academix“ und „comeback“ heißen. Dabei können Betriebe vor Ort schon jetzt kaum noch geeignete Jugendliche für ganz normale Berufsausbildungen finden.  Da hilft es auch nicht, wenn man Botschaften in über You Tube verbreitete „Raps“ verpackt. Immerhin, es amüsiert viele Jugendliche und Humor ist ja etwas Positives. Es gibt Aussteigerprogramme für Neonazis und einen „Zukunftsladen“, der den Charme der Achtziger versprüht…

Hat man denn das Problem erkannt, auf das das Land mit eiligen Schritten zusteuert? Ich glaube nicht! Wenn alles bleibt, wie es ist, dann möchte schon in naher Zukunft niemand, dem sich andere Möglichkeiten bieten, mehr hier sein. Stell Dir vor, es gäbe ein Land, in dem Angst, Zweifel, Misstrauen, Hass, Neid und Pessimismus die treibenden Kräfte sind und niemand mehr, der es besser machen würde.

Mir macht das Angst! Ich möchte, dass die Menschen glücklich sind, einander zuhören und vertrauen, gemeinsam etwas auf die Beine stellen, andere mitmachen lassen und sich voller Zuversicht auf ein gemeinsames Morgen freuen. Deshalb kümmere ich mich ehrenamtlich, fast in Vollzeit, um kulturino, einen kleinen Ort, an dem es besser laufen soll.

Es ist so wichtig, dass nicht ständig Glück und Wohlstand miteinander vermengt oder gar in Abhängigkeit voneinander gesehen werden. Glücklich zu sein bedarf es so viel mehr! Menschen dürfen sich nicht abgehängt fühlen „von denen da oben“. Menschen brauchen Anerkennung für das, was sie tun. Ich gehe so weit, zu sagen, dass Menschen glücklich sein sollen, dass sie sein dürfen, wo sie sind, in einem Land, in dem Natur- und Kulturschätze zuhauf, Landschaft, unberührte Natur, Erfindergeist, technisches Know-how, Bildungsmöglichkeiten, soziale Standards und so vieles mehr reichlich vorhanden sind. Thüringen ist toll. Das Land ist klein. Man findet zueinander, wenn man will, findet Mitstreiter. Und ich rufe allen Andersdenkenden zu: Fremde nehmen uns nichts weg. Es wäre schön, wenn mehr Menschen den Weg zu uns nach Thüringen finden würden. Ich möchte nicht, dass irgendjemand Angst haben muss, herzukommen.

Deshalb hat kulturino das „Bruttolokalglück“ erfunden. Unsere Aktivitäten sollen sich daran messen, ob sie Glück, i.S. von Zufriedenheit des Einzelnen zu steigern imstande sind. Wir machen das im Kleinen vor. Wir bieten den Anständigen ein Zuhause, wir versuchen nicht mehr gegen das Böse anzukämpfen, sondern wir versuchen, das Gute zu stärken, denjenigen, die noch Lust haben, etwas zu bewegen, zur Seite zu stehen. Das klingt klein und niedrigschwellig. Ist es auch! Kultur ist ein wunderbarer Weg mit Menschen ins Gespräch zu kommen, zu hören wo der Schuh drückt, zu zeigen, dass er bei anderen auch drückt und dann gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Das stärkt! Wir hatten den Ministerpräsidenten am Kaffeetisch und konnten ganz forsch fordern, dass Thüringen doch voranschreiten und Jugendlichen eine Glücksgarantie einräumen solle. Wir konnten im Expertenhearing des Bundeslandwirtschaftsministeriums zu Forschungsbedarfen in ländlichen Räumen klar machen, dass kulturelle Initiativen aus dem Inneren des ländlichen Raums kommen sollen, anstatt von Menschen, die vielleicht noch nie ein Dorf erlebt haben. Sogar ins Anhörungsverfahren für eine geplante Verfassungsänderung des Freistaats haben wir es geschafft. Es macht Jugendliche glücklich, als „die Anständigen“ wahrgenommen zu werden, statt ohnmächtig zuzuschauen.

Dabei ist die Idee zum „Bruttolokalglück“ gar keine ganz neue. Der Begriff Bruttonationalglück ist das, was wir auf lokaler Ebene umzusetzen versuchen. Der Begriff tauchte 1979 auf, als der König von Bhutan in einem Interview äußerte, dass er das Bruttonationalglück dem Bruttoinlandsprodukt hinsichtlich seiner Wichtigkeit für den Menschen vorziehe.

Seitdem ist der Begriff in der Welt. Seit Mai 2019 arbeiten drei Regierungschefinnen, Jacinda Ardern (Neuseeland), Katrín Jakobsdóttir (Island) und Nicola Sturgeon (Schottland) in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe an einer Wohlfahrtsagenda für eine gerechte Gesellschaft. (Greenpeace Magazin 6.21)

Krisen, wie die Covid Pandemie, sind immer auch Zeiten der Neuorientierung. Wir konnten „unseren Laden“ dank der LAND INTAKT Förderung äußerlich für die Umsetzung von „Bruttolokalglück“ fit machen und inhaltlich noch stärker dem „Bruttolokalglück“ unterordnen. Daten, die wir während der überwiegenden Schließung im Pandemiejahr Daten aus der gelungenen Saison 2021 gegenüberstellen können, verraten: kulturino ist nicht nur ein Naturidyll inmitten von 5.000 Quadratmeter Streuobst, sondern ein Ort der Glücklichen und Anständigen. „Bruttolokalglück“ heißt unsere Währung für ein gerechteres Gemeinwesen und hoffen auf ihre Strahlkraft.

Hier geht es zur Webseite von kulturino.

 

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